Wenn sich Thomas in Rage redet, ist das meist amüsant. Das weiss man an der Theke. Seine ausufernden Vorträge über die grossen und kleinen sozialen Ungerechtigkeiten begeistern die Massen. Auch die erzkonservativen Stefan und Hans hören gebannt zu und wagen keinen Widerspruch, wenn der kleingewachsene Baupolier die Welt erklärt. Wie jüngst, als Thomas seinem Ärger über Geschäftemacherei im privatesten Sektor Luft machte.
Die Zeit drängt. Noch wenige Minuten bis zur Zugsabfahrt. Jetzt muss es schnell gehen. Zwei Franken zahlen oder eine Stunde warten. Die Entscheidung ist einfach. Zeit ist Geld und eine Stunde sind mehr als zwei Franken. Auf zum McClean. Die Wände sind weiss, der Boden sauber – auch wenn man nicht gerade davon essen möchte. In die Nase steigt ein süsslicher Duft aus der Dose. Ja, dieser McClean ist eine gute Sache. Sauber, sicher und – unfair. Hier dürfen nur die Reichen scheissen. All die armen Gestalten, welche den Bahnhof zu ihrem temporären Zuhause gemacht haben, sind unerwünscht. Sie haben keine Möglichkeit ihre Notdurft zu verrichten. Das heisst natürlich haben sie Möglichkeiten … Hier ein kleiner Tipp: Bevor Sie Ihren Koffer oder Ihre Tasche in einem Schliessfach verstauen, vergewissern Sie sich, dass es wirklich leer ist.
Wir sollten mit den Toiletten-Manager von McClean aber nicht zu hart ins Gericht gehen. Schliesslich geht es ums Geschäft und mit den Randständigen, den Alkoholikern und den Obdachlosen – kurz den gescheiterten Existenzen – verdient man kein Geld. Dass sehen auch die Vertreter anderer Wirtschaftszweige so.
Da wäre noch die Gleichberechtigung. Während Weiblein egal ob für «klein» oder «gross» die ganzen zwei Franken zahlen muss, hat Männlein die Auswahl – einen Franken für «klein», zwei Franken für «gross». Aber Hand aufs Herz, passt sich McClean nicht nur an die Gepflogenheiten in der Schweizer Wirtschaft an? Wo ja Gleichstellung auch nur ein Wort ist, das viel in den Mund genommen, aber selten gelebt wird.
Da wären noch die Randregionen. Ein McClean funktioniert nur in den grossen Städten, denn nur da sind die grossen Bahnhöfe. Die grossen Bahnhöfe mit den vielen Menschen, alles potenzielle Kunden – ausser den gescheiterten Existenzen natürlich. Kleine Bahnhöfe in kleinen Städten sind – rein geschäftlich gesehen – uninteressant. Und in den Dörfern gibt es eh kaum noch Bahnhöfe. Aber eben, McClean ist auch nur ein Unternehmen, das wirtschaftlich arbeiten muss, und das geht in den Zentren besser. Auf dem Land soll man doch an einen Baum pinkeln. So sehen es die Mächtigen der Wirtschaft – nicht nur bei McClean.
Da wären noch die Angestellten. In ihren Kitteln sehen sie aus wie Ärzte. Aus Sri Lanka kommen sie, aus Kroatien oder der Dominikanischen Republik – nur nicht aus der Schweiz. Geduldig stehen sie da und warten darauf, dass sich eine Kabinentüre öffnet und ein erleichterter Kunde heraus kommt. Dann schlägt ihre Stunde: Sie dürfen sich um den fremden Dreck kümmern und die Kabine für den nächsten Erleichterung suchenden Kunden bereit machen. Ein Scheiss-Job mit Scheiss-Bezahlung: So gefällt der Wirtschaft die Integration von Ausländern.
Mehr zu «Geschichten von der Theke»: https://mcstrider.com/2012/07/17/geschichten-dies-und-jenseits-der-theke/
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