Verfasst von: mcstrider | Oktober 25, 2014

Sommerzeit oder wie Paris Milliarden hätte sparen können

Die Nacht von Samstag auf Sonntag dauert eine Stunde länger. Die Sommerzeit geht zu Ende. Um 3.00 Uhr wird die Zeit um eine Stunde zurückgedreht. Die Idee einer Zeitumstellung wurde erstmals im Jahre 1784 von Benjamin Franklin erwähnt. Ob Franklin seinen Vorschlag allerdings ernst meinte, darf bezweifelt werden. Unter dem Titel „Daylight Saving“ schrieb Franklin an die Zeitung „The Journal of Paris“.

„Kürzlich verbrachte ich einen Abend in einer grossen Gesellschaft, wo eine neue Lampe Gesprächsthema war, diese wurde für ihre Herrlichkeit bewundert, aber man fragte sich, ob ihr Ölverbrauch in Vergleich zu ihrer Helligkeit stand“. Man sei zu keinem Schluss gekommen, was alle als unbefriedigend empfanden. „Diese allgemeine Sorge um die Wirtschaftlichkeit erfreute mich, schliesslich liebe ich die Wirtschaftlichkeit sehr.“

„Ich ging nach Hause und ins Bett, drei, vier Stunden nach Mitternacht – mein Kopf war voll mit der Thematik. Ein plötzliches Geräusch weckte mich um 6 Uhr in der Früh, und ich war überrascht, meinen Raum voller Licht zu finden», schrieb Franklin. Er sei also aufgestanden, um zu untersuchen, woher das Licht komme, und habe die Sonne am Horizont aufgehen sehen, von wo aus sie „Sonnenstrahlen durch das Fenster, dessen Läden zu schliessen die Bediensteten vernachlässigt hatten, in das Zimmer goss“. Dies sei sicher ungewöhnlich, habe er sich gedacht und zum Almanach gegriffen. Dieser habe die Zeit des Sonnenaufgangs aber bestätigt. „Und als ich weiter blätterte, sah ich, dass in den kommenden Tage bis Ende Juni der Sonnenaufgang stets noch früher war. Und nie über das ganze Jahr geht die Sonne nach 8 Uhr auf.“

„Ihre Leser, die, wie ich, wohl noch nie Anzeichen von Sonnenschein vor dem Mittag gesehen haben, und selten den astronomischen Almanach in dieser Frage konsultieren, werden genauso verblüfft sein, wie ich es war, wenn sie vernehmen, dass die Sonne so früh aufgeht; und noch mehr, wenn ich ihnen versichere, dass die Sonne Licht gibt, sobald sie aufgeht.“ Franklin betonte, dass er es mit eigenen Augen gesehen habe und er die Beobachtungen an drei folgenden Morgen wiederholte. „Immer mit dem gleichen Resultat.“

Jedoch wenn er andere drauf anspreche, könne er deutlich in ihren Gesichtern erkennen, dass, obwohl sie davon absehen, es zu sagen, sie ihm nicht glaubten. „Ein gebildeter Naturphilosoph versicherte mir, ich müsse mich irren, in Bezug auf das Licht, das in mein Zimmer gekommen sei; sei es doch allseits bekannt, dass um solche Uhrzeiten kein Licht da sein dürfe, es folge daraus, dass keines von aussen hereingekommen sei; dass mein Fenster zufällig offen gewesen sei, habe, statt Licht herein, die Dunkelheit heraus gelassen. Und er führte weitere ausgeklügelte Argumente ins Feld, um zu zeigen, dass ich mich getäuscht hätte.“ Franklin musste zugeben, dass ihn die Diskussion verwirrte, er halte aber an seiner Meinung fest.

Er spann den Gedanken weiter: „Wäre ich nicht so früh am Morgen aufgewacht, hätte ich sechs Stunden Tageslicht verschlafen und dafür sechs Stunden in der Nacht bei Kerzenlicht verbracht. Und da Letzteres sehr viel teurer ist als Ersteres, zwang mich meine Liebe zur Wirtschaftlichkeit, mein begrenztes Wissen an Arithmetik abzurufen und einige Rechnungen anzustellen.“

Franklin rechnete mit 100’000 Familien alleine in Paris, die täglich sieben Stunden Kerzenlicht sparen könnten: Er kam auf 64’050’000 Pfund Wachs, die im Sommerhalbjahr eingespart werden könnten; oder über 30 Tonnen. Die entspreche einem Wert von 96’075’000 Livres tournois. Eine Umrechnung ist schwierig, generell geht man für die 1780er-Jahre davon aus, dass ein Livre 5 bis 15 Euro entspricht. Wir sprechen also von einer Ersparnis zwischen 480’000’000 und 1’441’125’000 Euro oder zwischen 576 Millionen und 1,7 Milliarden Franken.

„Eine immense Summe“, stellte Franklin fest. „Nun heisst es aber, das Menschen an alten Gewohnheiten festhalten und es schwer sei, sie zu überzeugen, vor Mittag aufzustehen, und so meine Entdeckung wenig nützlich sei; darauf antworte ich ‚Nil desperandum‘. Ich glaube, dass wer vernünftig ist und von diesem Schreiben gelernt hat, dass es Tageslicht hat, sobald die Sonne aufgeht, sich entscheiden wird mit der Sonne aufzustehen, und um den Rest ebenfalls zu überzeugen, schlage ich verschiedene Massnahmen vor.“

Als erstes soll jedes Fenster mit Fensterläden besteuert werden. Weiter soll Kerzenwachs rationiert werden und Wachen sollen jeden stoppen – mit Ausnahme von Ärzten, Hebammen oder ähnlichen – die nach Sonnenuntergang unterwegs sind. Jedes Mal bei Sonnenaufgang sollen alle Kirchglocken geläutet werden. „Und wenn das nicht genügt? Dann feuert Kanonen in allen Strassen ab, um die Schlafmützen effektiv zu wecken und ihnen die Augen zu öffnen, für was wirklich gut für sie ist.“

Die Schwierigkeiten wären nach zwei oder drei Tagen überwunden, zeigte sich Franklin sicher. „Weil: ‚ce n’est que le premier pas qui coûte‘.“ Nur der erste Schritt koste. „Wenn ein Mann gezwungen ist, um 4 Uhr in der Früh aufzustehen, ist es umso wahrscheinlicher, dass er freiwillig abends um 20 Uhr ins Bett gehen wird; und, nachdem er acht Stunden geschlafen hat, wird er noch eher wieder um 4 Uhr in der Früh aufstehen.“

Dafür, dass er diese Entdeckung, welche der Gesellschaft so viel bringe, einfach so kommuniziere und der Öffentlichkeit überlasse, verlange er keine Pension, keine exklusiven Privilegien, er wolle überhaupt keine Belohnung. „Ich erwarte nur, dass anerkannt wird, dass es meine Entdeckung war. Ich weiss, es gibt kleine, eifersüchtige Geister, die – wie so oft – mir dies verweigern wollen; die erklären werden, dass diese Entdeckung unseren Vorfahrern bekannt war, und vielleicht können sie dies mit Textpassagen aus alten Büchern belegen.“ Er werde mit diesen Leuten nicht darüber diskutieren, ob die Altvorderen wussten, wann die Sonne aufgehe. „Sie hatten vielleicht – wie wir auch – Almanache, die den Zeitpunkt des Aufgangs der Sonne vorhersagten; aber daraus lässt sich nicht schliessen, dass sie wussten, dass sie auch scheint, sobald sie aufgeht.“ Und wenn die Urväter dieses Wissen hatten, so sei es inzwischen verloren gegangen, zumindest bei den Bewohnern Paris.

Dies könne er auch beweisen. Die Pariser seien kluge und vorsichtige Leute, die Wirtschaftlichkeit liebten, und, bei all den Steuern, die die Bedürfnisse des Staates ihnen abverlangten, Grund haben, ökonomisch zu handeln. „Ich sage, es ist unmöglich, dass so vernünftige Leute unter diesen Umständen so lange im rauchigen, ungesunden und enorm teuren Licht der Kerzen gelebt haben, wenn sie wirklich gewusst hätten, dass sie das viel klarere Licht der Sonne gratis haben könnten.“

Wenn dem Leser einzelne bis alle Sätze in diesem Text als schwülstig, konstruiert und sowieso viel zu lang vorkommen sollten, bitte ich das zu entschuldigen. Ich versuchte ihn möglichst im Geist und nahe der Sprache von Franklins Essay zu halten. Das Original finden Sie hier.

In der Schweiz galt die Sommerzeit schon einmal in den Jahren 1941 und 1942. Sie kam in den 70er-Jahren wieder zur Debatte, wurde aber mehrheitlich abgelehnt. Das Problem: 1975 führte halb Europa die Sommerzeit ein, 1980 folgte auch Deutschland. Die Schweiz wurde zu einer «Zeitinsel», was zu einem Chaos – beispielsweise bei den Fahrplänen – führte. 1981 zog man in der Schweiz deshalb nach.


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