Verfasst von: mcstrider | Juni 8, 2018

Ein Plädoyer für Beleidigungen

Wir leben im PC-Zeitalter. Nein, nicht des Personal Computers, sondern der Political Correctness – der politischen Korrektheit. Beleidigungen haben es deshalb schwer. Das ist schade. Eine Beleidigung kann witzig, charmant sein, mit der feinen Klinge – dem Florett – vor­getragen. Aber auch der verbale Zweihänder – brutal und ehrlich – ist zielführend.

Eine gelungene Beleidigung soll die Zuhörer zum Lachen und den Beleidigten zum Verstummen bringen; aber ohne diesen ernsthaft zu verletzen. Am lustigsten ist es schliesslich, wenn am Ende alle lachen können. Es ist deshalb kein Zufall, dass oft beste Freunde einander mit den bösesten Beleidigungen eindecken. Schliesslich weiss jeder, wie es gemeint ist.

Neudeutsch spricht man gern vom «Diss» und dem «dissen». Abgeleitet vom Englischen «disrespect» oder «discredit». Das ist bekloppt. Oder wie ein naher Bekannter erklärte: «Ich habe jahrelang für meine Diss(ertation) gearbeitet, da geht es nicht an, dass andere rumrennen und einander gegenseitig dissen.»
Die Königsdisziplin bei der Be­leidigung ist die schlagfertige Entgegnung. Wenn das ver­meintliche Opfer die Beleidigung pariert und gekonnt zum Gegenangriff übergeht. Wahre Meister in dieser Disziplin waren Mark Twain und Sir Winston Churchill, dessen Wortgefechte mit Lady Astor legendär sind.

Als Lady Astor, selbst Quelle vieler träfer Zitate, Sir Winston vorwarf, er sei betrunken, meinte dieser: «My dear, you are ugly, but tomorrow I shall be sober and you will still be ugly.» Sinngemäss übersetzt: «Und Sie, meine Liebe, sind hässlich. Aber morgen werde ich nüchtern sein und sie immer noch hässlich.» In einer Umfrage der britischen Zeitung «The Independent» wurde die Erwiderung als lustigste Beleidigung der Geschichte gewählt.

Leider ist die Gabe der schnellen, humorvollen, intelligenten Erwiderung den wenigsten von uns gegeben. Die passende Antwort fällt uns meist erst spät – zu spät – ein. Es bleibt der Frust und die Hoffnung, dass es einer einmal wieder mit der gleichen Beleidigung versucht. Dann wird er aber eine gepfefferte Antwort erhalten, die es in sich hat. Ein Trost mag sein, dass auch die erwähnten grossen Geister nicht immer die passende Antwort bereit hatten, sich aber auf wohlwollende Erzähler verlassen durften.

Für das Phänomen der «ver­späteten» klugen Antwort gibt es übrigens ein schönes deutsches Wort: den Treppenwitz – ein geistreicher Gedanke, der einem zu spät, nämlich erst auf der Treppe, einfällt.

Dieser Text erschien am 8. Juni 2018 im Berner Oberländer unter der Rubrik „Kopfsalat“

Und hier noch ein Bonus:

Eine gute Beleidigung ist also eine komplexe Sache. Wie es geht, zeigt Cyrano de Bergerac von Edmond Rostand. Als Valvert plump Cyranos übergrosse Nase aufs Korn nahm, setzte dieser zu einem Monolog an, der es in sich hatte.

„Ach, nein! Das ist ein bißchen dünn, mein Freund.
Man könnt’ da noch so manches sagen, wie mir scheint.
In mancher Tonart, – nehmen Sie zum Beispiel die:
Provokativ: Hätt’ ich solch eine Nase, Herr, wie Sie,
Dann würd’ ich sie mir auf der Stelle amputieren lassen!“

Dann legte Cyrano so richtig los. Hier nur ein paar Müsterchen:

Beschreibend: “Welch ein Fels! Ein Berg zum Schattenspenden.
Ach nein, was sag ich? Berg? Ein Bergmassiv ist das!”
(…)
Geschmacklos: “Guter Mann, wenn beim Tabakgenuß
Den beiden Nasenlöchern Rauch entsteigt, dann muß
Die Nachbarschaft doch glauben, daß ein Brand ausbricht!”
(…)
Belehrend: “Aristophanes fand es heraus:
Das Tier, Hippocampelephantocamelos genannt,
Lief mit ‘nem ebensolchen Rüssel durch das Land!”
(…)
Besorgt: “Wird’s dieser Meisternase mal zu kalt,
Verschickt sie ihre Nieser mit Orkangewalt!”
Dramatisch: “Wenn die blutet, steigt das Rote Meer!”
(…)
Galant: “Beim Wettlauf unterliegen Sie wohl nie.
Den größten “Vorsprung” haben schließlich immer Sie.”
(…)
Und schließlich, den betrübten Pyramus im Sinn:
“Nun schickt mich diese Nase also in den Tod!
Infam verriet sie mich! Da, seht nur: Sie wird rot!”

Und nun dreht Cyrano den Spiess um, und macht sich mit beissendem Hohn über den mangelnden Witz Valverts lustig:

So oder ähnlich hätten Sie mich foppen können,
Würden Sie Bildung und Verstand Ihr eigen nennen.
Doch statt gebildet sind Sie nur ein Jammerbild!
Und Ihr Gehirn ist nicht ein Jota mit Verstand gefüllt.

Den ganzen Monolog (auch im französischen Original) findet sich hier.


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