Traurig steht die Figur auf der Bank. Ein Wams aus Metall. Genau wie der Rock. Oder ist es ein Kilt? Daneben steht ein winziger Eimer. Ist es der Kopf? «Gratis» steht auf einem Zettel. Kein Wunder, ist das Männchen traurig. Und wohl auch verängstigt. Schliesslich liegt gleich daneben ein Hammer. Eine unverhohlene Drohung auf ein böses Ende der Figur, sollte sie nicht einen neuen Besitzer finden? Die Figur fiel mir auf einem Spaziergang auf, und ich fragte mich, welche Geschichte dahintersteckte.

Mylo, der Metallschotte – oder wie die Figur sonst heissen mag.
Endlich ist Marlo heimisch geworden. Der Junge lebte in fünfzehn kurzen Jahren in ebenso vielen Ortschaften. Nun soll alles anders werden. Die neue Wohnung ist eingerichtet, und in der Schule hat er sich mit Klassenkameraden angefreundet. Keine Selbstverständlichkeit für Marlo. Seinen bisher besten Freund hatte er sich vor fünf Jahren – mit etwas Hilfe – selbst gebastelt: Mylo, den Metallschotten. Er war Marlos treuer Begleiter, auch wenn er das Büchergestell nie verliess.
Mylos Zeit ging aber zu Ende: Marlo lud seine neuen Freunde ein. Es war lustig, und man lachte. Und ein Junge lachte besonders laut. Über Mylo. Alle stimmten ein. Auch Marlo. Schliesslich wollte er die neu gefundenen Freunde nicht verlieren. Es tat weh. Und als der gezielte Wurf mit einem Kissen den Metallschotten köpfte, tat es noch mehr weh.
Als die neuen Freunde heimgekehrt waren, packte Marlo den Hammer, den er schon beim Bau Mylos gebraucht hatte. Den alten Freund zu zerschmettern, brachte er aber doch nicht übers Herz. Deshalb stellte er ihn auf eine Bank mit einem Schild «Gratis» und dem Hammer gleich mit.
Dann kam der Anruf von Gregor. «He, ich wollte dir nur sagen, die Metallfigur war schon noch cool. Wenn du Zeit und Lust hast, können wir zusammen mal was basteln.» Marlo rennt, so schnell ihn seine Beine tragen, um Mylo zurückzuholen. Aber steht der Metallschotte noch auf der Bank? Wer weiss?
Ach was. Ich habe mir die Geschichte ja ausgedacht: Natürlich ist Mylo noch da!
Dieser Text erschien unter der Rubrik „Kopfsalat“ am 3. August 2018 im Berner Oberländer.
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